Baulinks -> Redaktion  || < älter 2023/0913 jünger > >>|  

Quartier Neckarspinnerei: Wärmewende trifft auf Denkmalschutz

(28.8.2023) Hinter den geschichtsträchtigen Ziegelmauern der 1861 eröffneten Baumwollspinnerei der Otto Textil GmbH (siehe Google-Maps) produzierten die Mitarbeitenden bis 2020 noch Spezialgarne. Nun wird der weitestgehend denkmalgeschützte Gebäudebestand saniert, durch moderne Neubauten ergänzt und bis 2027 in ein lebendiges Mischquartier mit einem hocheffizienten Energiekonzept verwandelt. Das Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE mit Hauptsitz in Stuttgart begleitet den Projektentwickler HOS-Gruppe dabei, ein smartes Wärmenetz mithilfe einer internetbasierten technischen Plattform für das gesamte Areal umzusetzen. Im Konsortium mit an Bord: die RWTH Aachen im Rahmen des Forschungsprojekts N5GEH Booster.

(Bild: g--kx mediaHOUSE) 

Wärmenetz der 4. Generation für die Neckarspinnerei

Jeder will es, zu wenige wissen wie: grüne Wärme nutzen – ob für die Heizung, eine warme Dusche oder um Industrieprodukte herzustellen. Noch immer beziehen 80 % deutscher Wohnungen ihre Wärme aus fossilen Brennstoffen und die Energiewende stockt massiv. Dass und wie es auch anders geht, macht die HOS-Gruppe bei der Entwicklung des Neckarspinnerei Quartiers in Wendlingen nahe Stuttgart vor. Um das künftige Stadtquartier CO₂-neutral zu betreiben, setzt die Bauherrin ein Wärmenetz der vierten Generation um. „Die Neckarspinnerei ist eines der ersten Projekte dieser Art in Deutschland. Das Quartier produziert und nutzt nach der Fertigstellung ausschließlich erneuerbare Wärme, Kälte und Strom. Damit wird die Neckarspinnerei trotz ihrer besonderen historischen Bauwerke künftig nicht nur vollständig klimaneutral sein, sondern zusätzlich CO₂-Emissionen in Höhe von bis zu 300 Tonnen pro Jahr überkompensieren. Das macht unser Projekt zu einem Vorzeigebeispiel für die grüne Wärmewende im Gebäudebestand“, erklärt Andreas Decker, Geschäftsführer der HOS Gruppe.

Smarter Versorgungsmix

Das hocheffiziente Energie- und Wärmekonzept setzt auf einen smarten Versorgungsmix: Ein spannendes Element des Konzepts ist zum Beispiel ein Laufwasserkraftwerk, das seit der Fabrikeröffnung das am Neckar gelegene Areal mit Energie versorgt. Klimafreundlichen Strom liefern zudem bald PV-Anlagen auf den Dächern. Zusammen produzieren sie jährlich etwa 4,5 GWh Grünstrom. Rund zwei Drittel der erzeugten Energie, davon etwa 62% aus Wasserkraftwerken und 38% aus PV-Anlagen, wird mithilfe eines Stromspeichersystems vom Quartier selbst verbraucht – der Rest wird ins Netz eingespeist. Ihre regenerative Wärme bezieht die Neckarspinnerei künftig über Wärmepumpen aus dem Oberflächenwasser des Neckars und einem großen Eisspeicher. Auch die Abwasserwärme bleibt nicht ungenutzt. 

Praxiswissen kombiniert mit Spitzenforschung

Neben einer durchdachten Energie-Infrastruktur ist für den Ausbau grüner und intelligenter Wärmenetze die digitale Vernetzung ausschlaggebend. So werden auch im Neckarspinnerei Quartier mithilfe der Internet of Things-Dienste, kurz IoT, Energiesysteme optimiert und Lösungen für CO₂-Reduktion erprobt. Drees & Sommer bringt dabei sein Energieberatungs- und IT-Know-how ein. Zusammen mit den Forschern der RWTH Aachen entwickelt das Expertenteam im Rahmen des Forschungsprojektes Booster eigens für das Neckarspinnerei Quartier eine IoT-Plattform. „Bisherige IoT-Anwendungen konzentrieren sich nur auf spezielle Schnittstellen, Datenformate oder Dienste wie zum Beispiel den optimalen Betrieb von Heizungsanlagen. Die Wechselwirkungen mit anderen Gebäudeanlagen werden oft vernachlässigt. Das Ergebnis: eine zwar effiziente Heizung, aber ungenutzte Potenziale in der Lüftungs- oder Klimaanlage. Die neue Plattform sorgt hingegen dafür, dass jede einzelne Anlage der Neckarspinnerei – von Heizung über Wasserversorgung bis hin zur Lüftung – durchgängig digital vernetzt, aufeinander abgestimmt und über den gesamten Betrieb hinweg fortlaufend optimiert wird“, erklärt Dr. Thomas Schild, Experte für Energie- und Nachhaltigkeitskonzepte bei der Drees & Sommer SE. Die auf dieser Weise erprobten Lösungen und gewonnene Erkenntnisse dienen später als Blaupause für die IoT-basierte Betriebsoptimierung der zukünftigen Quartiere und Gebäudeensembles. Den innovativen Wärmenetz-Ausbau in der Neckarspinnerei fördert auch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) mit der Bundesförderung für effiziente Gebäude.

Grünes Wärmenetz geht nur mit grünem Bestand 

Ein wichtiger Baustein des Wärmenetzkonzepts ist die Bestandssanierung. Dafür nahm das Drees & Sommer-Expertenteam jedes der 13 historischen Gebäude, darunter den Spinnerei-Hochbau, verschiedene Werkstätten und die ehemalige Unternehmervilla, unter die Lupe. Das Ergebnis: Für einen klimaneutralen Betrieb müssen alle Bestandsbauten so saniert werden, dass sie durch Wärmepumpen versorgt werden können. Dafür sind unter anderem notwendig:

  • eine mit dem Denkmalschutz vereinbare Dämmung, 
  • Flächen-Heiz-Kühlsysteme und 
  • ein Lüftungskonzept mit maximal natürlichem Lüftungsanteil. 

Erst diese Maßnahmen an den Gebäuden und dem für Neubauten vorgesehenen Plus-Energie-Standard schaffen die Voraussetzungen für eine vollständige Versorgung aus regenerativen Energiequellen. Ein unsichtbares, aber entscheidendes Element stellt zudem eine vorausschauende Betriebsstrategie dar. Sie hilft, die Speicherkapazitäten so zu koordinieren, dass über das gesamte Jahr hinweg ein klimapositiver Betrieb erreicht werden kann.

Bis 2027 wandelt sich die Neckarspinnerei in ein nachhaltiges Quartier

Insgesamt wird das fertige Areal rund 50.000 m² Geschossfläche verteilt auf Bereiche Wohnen, Arbeiten, Handel und Kultur umfassen. Daneben ist ein Mobilitätskonzept mit guter Anbindung des Quartiers an den öffentlichen Nahverkehr sowie einem Rad- und Fußgängernetz geplant. Im Ergebnis entsteht mit der Neckarspinnerei bis 2027 ein nachhaltiges und attraktives Quartier für Familien, junge Unternehmer und kreative Köpfe. Den gemeinsam mit der IBA’27 und der Stadt Wendlingen für das Neubaugebiet ausgeschriebenen städtebaulichen Wettbewerb gewann Anfang März der Entwurf von Rustler Schriever Architekten und gornik denkel Landschaftsarchitekten. 

siehe auch für zusätzliche Informationen:

Impressum | Datenschutz © 1997-2024 BauSites GmbH