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Wachsendes „Erdgeschossproblem“

(13.10.2020) Bulwiengesa hat gemeinsam mit Fachleuten aus den drei Projektentwicklungsunternehmen Ehret + Klein, Hamburg Team und Interboden sowie der Bundesstiftung Baukultur eine Studie zur Problematik der Erdgeschosse in Stadtquartieren erarbeitet. Das gemeinsame Ziel war, Handlungsansätze für Quartiersentwickler, Stadtplaner sowie Investoren zu schaffen und eine Symbiose von Immobilienwirtschaft und Stadtplanung zu erreichen.

Foto © baulinks/AO 

Erdgeschosse 4.0

Aktive Erdgeschosszonen sind anerkanntermaßen für die Vielfalt sowie die (Lebens-)Qua­lität in den Quartieren wichtig - und damit im öffentlichen Interesse. Es ist eine Anregung, Erdgeschosse - quasi als Erdgeschosse 4.0 - neu zu denken und zu konzipieren.

Die Studie zeigt Gründe auf, warum die Vermietung der Erdgeschosslagen in Quartieren, insbesondere in Stadtteillagen, die Quartiersentwickler vermehrt herausfordert. Kern dieser Entwicklung ist das Ladensterben, vor allem des Fachhandels.

Corona als Beschleuniger des Wandels

Andreas Schulten, Generalbevollmächtigter und Initiator der Studie, erinnert: „Bereits vor der Corona-Krise haben Entwicklungen wie Verschiebungen im stationären Einzelhandel, die stärkere Bedeutung von Gastronomie oder enorm steigende Grundstücks- und Baukosten dazu geführt, dass sich Erdgeschosslagen verändert haben. Prognosen zufolge steht mindestens jedes zehnte Einzelhandelsgeschäft innerhalb der nächsten zehn Jahre vor dem Aus. Gemeinsame Maßnahmen von Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung, um diese Lagen zu gestalten, sind unabdingbar.“

Erdgeschosse und Läden wackeln

Mehrere Faktoren führen seit etwa 2010 zu einem wachsenden „Erdgeschossproblem“. In großen wie kleinen Städten fallen zunehmend Erdgeschosse auf, die nicht mehr vermietet werden können. Diese beeinträchtigen entweder als blinde Flecken oder aber durch einfache Nutzungen wie Spielhallen, Wettbüros oder Kioske den Gesamteindruck des Quartiers.

Gleichzeitig entstehen Schieflagen bei der immobilienwirtschaftlichen Kalkulation. Ursache hierfür seien Faktoren wie ...

  • der Rückgang der inhabergeführten Läden,
  • zunehmender Onlinehandel,
  • baurechtliche Auflagen - teils ohne Augenmaß für den Immobilienmarkt,
  • alternde Gesellschaft mit spezifischeren Bedürfnissen und/oder
  • Optimierungszwang wegen schnell steigender Bau- und Grundstückskosten.

Für Projektentwickler wird’s enger - Quersubventionierung kann helfen

Viele öffentliche Planungsämter beharren häufig auf zu starren Vorgaben bezüglich der konkreten Erdgeschossnutzungen, die sich mit den am Markt realisierbaren Möglichkeiten und den Gegebenheiten vor Ort oft nicht oder nur schwer vereinbaren lassen.

Projektentwickler werden dadurch vor größere Probleme bei der Umsetzung gestellt - beispielsweise bei der Mietersuche. Gleichzeitig steigt die Gefahr längerer Leerstandszeiten, sowohl zu Beginn als auch im weiteren Verlauf der Nutzungsphase.

Herr Schulten mahnt: „Die Ausgangslage einer Projektkalkulation entspricht nur selten den tatsächlichen Gegebenheiten bei Fertigstellung. Viele Entwicklungen sind kaum zu prognostizieren. So steigen die Bau- und Grundstückskosten stärker als die Mieten im stationären Einzelhandel.“

Bau- und Grundstückskosten sowie Ladenmieten nicht im Gleichschritt

Die Baukosten sind im Zeitraum von zehn Jahren zwischen 2009 und 2019 in den sieben A-Städten im Durchschnitt um rund 20% gestiegen. Dagegen sind die Ladenmieten in Stadtteillagen der A-Städte zwischen 2009 und 2018 lediglich um etwa 12% gestiegen - und das in der Regel auch nur in gut frequentierte Lagen in den jeweiligen Stadtteilzentren oder an Hauptverkehrsachsen. Derartig gute Lagequalitäten sind jedoch nicht in jeder Quartiersentwicklung gegeben.

Schon allein diese Entwicklung zeigt den stärker werdenden finanziellen Druck auf die Erdgeschosslagen. Deutlich verstärkt wird dieser noch unter Berücksichtigung des zweiten großen Preistreibers für Projekt- und Quartiersentwicklungen, den Grundstückskosten. Diese haben sich in guter Lage zwischen 2015 und 2019 in den A-Städ­ten durchschnittlich um 115% verteuert. Auch in mittleren (+70%) und einfachen Lagen (+56%) fällt der Anstieg hoch aus.

Im Regelfall sorgen die aktuellen Bau- und Grundstückskosten zusammen mit den für viele Nutzungen aufwendigen Ausbaustandards der Erdgeschosse dafür, dass sich ihre Entwicklung in A-Städten erst ab Mieten von deutlich über 20 Euro/m² Mietfläche wirtschaftlich lohnt, so berichten es die beteiligten Projektpartner. Da diese Mieten immer seltener auch marktfähig sind - betonen die Studienersteller weiter -, muss das Erdgeschoss mittlerweile in den meisten Fällen über die darüber angeordneten Nutzungen quersubventioniert werden.

Herr Schulten kommentiert: „Durch die Quersubventionierung steigen die Mieten in den darüber liegenden Büros und vor allem Wohnungen. Gerade der Wohnungswirtschaft wird in der Folge oftmals Profitgier vorgeworfen. Diese Entwicklung ist politisch nicht unproblematisch!“

Standortanforderungen in der Planungsphase berücksichtigen

Die folgende Matrix gibt einen Überblick über die Kriterien, die gängige kleinteilige Gewerbebetriebe an die infrastrukturelle Ausstattung sowie die Lage und Objektkriterien stellen. Hieraus geht hervor, dass die Standortanforderungen einzelner Nutzungen konzeptionell schon in der Planungsphase stärker berücksichtigt und auch kommuniziert werden sollten:

Empfehlung: Weniger Ketten, mehr lokale Akteure

Lebendige Erdgeschosszonen benötigen entweder finanziellen Spielraum, etwa durch Quersubventionierung, oder ein besonderes Konzept, das hohe Mieterträge ermöglicht. Die gemeinsam mit den Studienpartnern ausgearbeiteten Empfehlungen richten sich an Projektentwickler, Investoren und Stadtplaner:

So empfiehlt es sich für Projektentwickler, Quartiere im politischen und investiven Kontext gesamtheitlich zu betrachten und den Managementaufwand, insbesondere für die Erdgeschossflächen, bereits in den Planungen berücksichtigen. Darüber hinaus sollten lokale Wirtschaftsakteure einbezogen werden, um die Akzeptanz eines Quartiers zu erhöhen und potenzielle Mieter zu akquirieren. Mieter aus dem lokalen Umfeld führen weit mehr als überregionale oder globale Einzelhandelsketten zu resilienteren Strukturen.

Planungsämter sollten stärker würdigen, dass niedrige Renditen durch relativ hohe Kaufpreise und „Stadtrendite“ Hand in Hand mit einem geringen sozialen Risiko einhergehen.

„Stadtrendite“ als Ausruck von gesellschaftlichen Gegenwert einer Neubaumaßnahme ist zwar nur schwer quantifizierbar, hilft aber bei einem erweiterten ökonomischen Verständnis von Stadtentwicklung. Nur so werden Projektentwickler, die selbst auch aktiv als Stadtentwickler mitgestalten möchten, incentiviert. Oftmals ist das Anforderungspaket der kommunalen Verwaltungen im realen Markt für die Projekt- und Quartiersentwickler wirtschaftlich nicht umsetzbar. Eine bessere Abwägung bei schwer vermietbaren Flächen sowie ein verbindlicher Anforderungs- und Leistungskatalog wäre unter den aktuellen Bedingungen in vielen Fällen förderlich, um Leerstände zu vermeiden.

Investoren wissen, dass nicht jede Erdgeschossfläche, die in der Erstvermietung einen Mieter gefunden hat, ein nachhaltiger Garant für Mieterträge und Qualität ist. Eine weitreichende Nutzungsflexibilität und Robustheit im Grundkonzept steigern den Anlageerfolg. Alternativen zum Einzelhandel - etwa Kultur, Büros und Kleingewerbe - spielen eine zentrale Rolle. Und weil Grundstückspreise, Immobilienmarktzyklen und Quartiersveränderungen starken Einfluss auf die langfristige Wertstabilität eines Quartiers haben, sollten klare Strategien obligatorisch sein, wie welchen Risikofaktoren bei welchen Kosten begegnet werden kann. Erdgeschoss-Management spiel hierbei eine zentrale Rolle für das Gesamtquartier.

siehe auch für zusätzliche Informationen:

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