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Wird (auf dem Land) am Bedarf vorbeigebaut?

(25.6.2017) Bautätigkeit und Baubedarf entwickeln sich in Deutschland sehr unterschiedlich - und mitunter auch am Bedarf vorbei: Während es in allen Großstädten an Wohnungen mangelt, wird in vielen ländlichen Regionen deutlich zu viel gebaut - zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Baubedarfsanalyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln für den Zeitraum 2011 bis 2015. Im Landkreis Emsland sind demnach mehr als 1.060 Wohnungen mehr entstanden, als auf Basis der demografischen Entwicklung und der Leerstände zu erwarten gewesen wäre. Zu rund 80% handelt es sich dabei um große Wohnungen bzw. Einfamilienhäuser. Ähnlich sieht es laut IW Köln im Landkreis Steinfurt (+705 Wohnungen) oder im Landkreis Vorpommern-Greifswald (+660) aus. Insgesamt sollen in den ländlichen Kreisen 20% mehr Wohnungen gebaut worden als benötigt werden. Bei den Einfamilienhäusern sind es sogar mehr als doppelt so viele- siehe auch die folgende interaktive Karte:

Aktion „Impulse für den Wohnungsbau“ widerspricht

Die Planungs-, Bau- und Immobilienbranche, die sich in der Aktion „Impulse für den Wohnungsbau“ organisiert hat, widersprecht dieser „Zuviel-Bau-These von Wohnungen“ auf dem Land: „Sie bestätigt zwar den enormen Nachholbedarf beim Wohnungsbau in Großstädten und Ballungsregionen, kommt in Sachen Wohnungsbau auf dem Land allerdings zu falschen Erkenntnissen. Dies hat in ersten Reaktionen aus der deutschen Bau- und Immobilienwirtschaft bereits zu Irritationen geführt“, so Dr. Ronald Rast. Der Koordinator der Aktion „Impulse für den Wohnungsbau“ hat einige Reaktionen auf die IW-Studie gesammelt und spricht von einem „irritierenden Studientenor“: „An den vom IW vorgelegten Zahlen gibt es Zweifel“. Die Studiendarstellung decke sich auch nicht mit Erkenntnissen anderer Institute. So seien u.a. die exemplarisch genannten Zahlen zum niedersächsischen Landkreis Emsland nicht nachvollziehbar, sagt das Pestel-Institut aus Hannover, das regelmäßig für die Aktion „Impulse für den Wohnungsbau“ Studien erstellt und eine Schnellanalyse der IW-Erkenntnisse gemacht hat.

Beispiel Emsland

Das Emsland zeigt, so das Pestel-Institut, eine positive Entwicklung - sowohl bei der Einwohnerzahl als auch bei der Beschäftigung. In dem vom IW betrachteten Zeitraum von 2011 bis 2015 habe die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die im Kreis Emsland arbeiten, um 15.755 Menschen zugenommen - ein Plus von 14,4% auf knapp 125.000 Beschäftigte. Und allein vom Juni 2015 bis Juni 2016 hätten sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Kreis Emsland dann noch einmal um weitere knapp 3.000 Personen erhöht - ein Plus von 2,4%. Das starke Beschäftigungswachstum locke Menschen ins Emsland. Viele zögen dorthin, wo der Arbeitsplatz ist - kurze Wege zum Job sind oft reizvoller als das Pendeln, betont Matthias Günther vom Pestel-Institut.

Es sei nicht gut, mit der Bezeichnung „ländlicher Raum“ zu suggerieren, es würde „quasi automatisch Einbahn-Pendlerströme geben: vom Land raus - rein in die Zentren“. Genau dieses „stereotype Muster“ lasse sich auf das Emsland - wie auch auf etliche andere ländliche Regionen - nicht übertragen: „Hier gibt es einen Einpendler-Überschuss - also mehr Menschen, die zur Arbeit ins Emsland fahren als umgekehrt. Und das schon seit 2007“, so Günther.

Ronald Rast ist sich dann auch sicher: „Wer auf dem Land bauen will, hat seine Gründe dafür. Er will dort wohnen und schafft sich mit dem Bau eines Ein- oder Zweifamilienhaus auch eine attraktive Altersvorsorge. Und im Übrigen sind Neubauten in der Regel solide finanziert. Es wird also nicht ins Blaue hinein gebaut.“

Das IW geht nach eigenen Angaben von einem Leerstand von 5% im Emsland aus. Würde dies zutreffen, dann hätte sich der Leerstand, so das Pestel-Institut, seit dem Zensus 2011 (2.292 Wohnungen) um 4.559 Wohnungen auf 6.751 leerstehende Wohnungen erhöht. „Das ist aber weit weg von der Wirklichkeit auf dem emsländischen Wohnungsmarkt“, sagt Pestel-Institutsleiter Günther. Beim Zensus 2011 habe es dort einen Leerstand von lediglich 1,75 Prozent gegeben – vergleichbar dem der Hansestadt Hamburg. Nach Berechnungen des Pestel-Instituts liegt der Leerstand im Kreis Emsland auch aktuell unter 2%.

Beispiel Duisburg

Zweifel an den IW-Studienergebnissen habe sich bei der Analyse auch an anderen Stellen ergeben. So werde für Duisburg ein zusätzlicher Wohnraumbedarf ermittelt. Hier sind laut Studie in den vergangenen Jahren nur 49% der eigentlich benötigten Wohnungen gebaut worden. „Duisburg hatte im Jahr 2015 unbestritten einen erheblichen Zuwanderungsschub zu verzeichnen. Allerdings ermittelte der Zensus für den Standort 2011 auch einen enormen Leerstand von 13.942 Wohnungen - und damit eine Leerstandsquote von 5,4 Prozent“, erläutert Matthias Günther vom Pestel-Institut. „Anstatt der Großstadt Duisburg eine kräftige Neubau-Empfehlung zu geben, wäre es eher angebracht, dort den Leerstand von rechnerisch rund 3,8% Ende 2015 weiter abzubauen und die zusätzlichen Haushalte mit sanierten und modernisierten Leerstandswohnungen zu versorgen“, rät Günther.

Die Wohnungsmärkte seien vielschichtig. „Hier gibt es kein 08/15-Muster. Dem Land einseitig Wohnungsbau in Großstädten zu verordnen und in ländlichen Regionen vom Wohnungsbau abzuraten, wird einer soliden Bedarfsempfehlung nicht gerecht“, so der Leiter des Pestel-Instituts, zu dessen Forschungsschwerpunkten Wohnungsmarkt-Untersuchungen gehören.

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