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EZB senkt Leitzins auf Rekordniveau und mögliche Folgen

  • Autor: Robert Haselsteiner - Gründer und Zinsexperte der Interhyp AG

(9.7.2012) Wie von den meisten Marktbeobachtern erwartet, hat die Europäische Zentralbank (EZB) am 5.7. den Leitzins für den Euroraum um 0,25 Prozent auf nun­mehr 0,75 Prozent gesenkt. Gleichzeitig hat EZB-Präsident Mario Draghi erklärt, dass Banken ab jetzt für ihre Über-Nacht-Einlagen bei der Notenbank keine Zinsen mehr erhalten werden. Im Gegenzug können sich Banken jetzt zu einem Zinssatz von 1,5 Prozent Geld bei der Zentralbank leihen. Damit wurden auch in diesen beiden Berei­chen die Zinssätze um jeweils 0,25 Prozent gesenkt. Ziel des Maßnahmen-Paketes ist es, die Verbilligung von Krediten zu erreichen. Gleichzeitig sollen Banken dazu animiert werden, mehr Kredite zu vergeben und ihre Liquidität nicht bei der EZB zu horten. Soweit die Theorie - in der Praxis werden die Impulse jedoch verschwindend gering sein.

Folgen der Leitzinssenkung

Der Kreditkreislauf ist seit dem Ausbruch der Krise vor nunmehr fast fünf Jahren in den meisten Ländern massiv gestört und daran kann auch die Ausreizung der letzten klei­nen Möglichkeiten bei den Leitzinsen nichts ändern. Die Banken, besonders diejenigen in den Krisenländern, sind beschäftigt mit dem Abbau ihrer hohen Kreditrisiken, die in der Boomzeit aufgebaut wurden. Die enormen Bilanzsummen können nur mit Hilfe durch die Notenbanken refinanziert werden. Zudem zwingen die gestiegenen Eigenkapitalan­forderungen durch die Regulierungsbehörden die Banken zur Verkleinerung ihrer Kredit­bücher. In diesem Umfeld wirken die homöopathischen Leitzinssenkungen wie der berühmte Tropfen, der den heißen Stein trifft.

Dass die erste Reaktion der Anleihemärkte von Käufen bei den Staatsanleihen geprägt war und daher die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihen auf 1,4 Prozent leicht gesunken ist, hat mit der Erwartung auf weitere, viel gravierendere Schritte der EZB zu tun. Die Marktteilnehmer erwarten, dass der Druck auf Mario Draghi in den nächs­ten Wochen kräftig zunehmen wird, seinen Beitrag zur Rettung der südlichen Krisen­länder klar zu formulieren. Die Erwartung dabei ist, dass die EZB ein Kaufprogramm für Staatsanleihen der Krisenländer auflegen wird, um direkten Einfluss auf die viel zu hohen Finanzierungskosten in Spanien und Italien zu nehmen. Diese Kosten sind be­zeichnenderweise gestern im Anschluss an die Leitzinssenkung weiter angestiegen, so dass sich der Zinsabstand zwischen Deutschland und den Südländern weiter aus­gedehnt hat. Das ist natürlich nicht im Sinn der Politik. Dass die Aufkäufe von Anleihen der nächste logische Schritt ist, zeigen ja die Vorbilder Japan, USA und auch England. Hier laufen solche Programme schon einige Jahre und stellen sicher, dass nicht nur die kurzfristigen Geldmarktzinsen auf null stehen, sondern auch die längerfristigen Kapital­marktzinsen von der Notenbank mitbestimmt werden.

Kartenhaus der Süd- und Peripherieländer bricht zusammen

Für den Euroraum ist die Situation jedoch ungleich komplexer als für diese Staaten. Macht doch die EZB eine Geldpolitik für 17 Mitgliedsländer mit zum Teil komplett divergierenden Konjunkturentwicklungen. Schon seit einiger Zeit zeichnet sich dabei ab, dass bei der Bekämpfung einer Krise, die durch massive Ungleichgewichte inner­halb des Euroraumes entstanden ist, die nächsten Ungleichgewichte gefördert wer­den. Diese werden zur nächsten Fehlallokation und damit zu neuen Ungleichgewichten führen. Was ist damit gemeint: Allen Beteiligten ist heute klar, dass mit der Einführung des Euros und damit dem Ausschalten des Währungsrisikos innerhalb Europas eine dramatische Kapitalverschiebung von Norden nach Süden eingesetzt hatte. Die Spar­überschüsse aus zentralen Euroländern wie Deutschland, Holland oder Österreich haben über den Transfermechanismus Banken ihren Weg in die Südländer gefunden und dort das Wachstum getrieben und zu einem Investitionsboom und Konsumrausch geführt.

Kredite für Unternehmen, Privatkunden und speziell für den Immobilienkauf wurden historisch billig und die Verschuldung in diesen Ländern ist explodiert. Über Jahre hat die Einheitszins-Politik der EZB dazu geführt, dass in den wachstumsstarken Periphe­rieländern die Zinsen, bezogen auf den Konjunkturverlauf, viel zu niedrig waren, in den wachstumsschwachen Kernländern aber eigentlich immer noch zu hoch. Jetzt, wo klar geworden ist, dass das Kartenhaus der Süd- und Peripherieländer unter der Last der hohen Verschuldung zusammenbricht, nutzen den Krisenländern auch die tiefen Leit­zinsen nicht mehr. Längst fordern die Gläubiger exorbitant hoch wirkende Risikoauf­schläge für die Vergabe von neuen Krediten an die klammen Staaten, während die Kernländer bisher als Zufluchtsort für Gelder aus den Krisenregionen gesehen werden. Das heißt, die Kapitalströme sind nicht nur zum Erliegen gekommen, sie haben sich sogar umgekehrt. Jetzt fließen die Ersparnisse aus den Südländern in die noch boni­tätsstarken und vertrauenswürdigeren Kernländer und haben dort die Zinsen für Staatsanleihen auf historische Tiefstände getrieben.

Bezogen auf die durchaus gesunde Konjunkturentwicklung in den Kernländern sind damit jetzt bei uns die Zinsen viel zu niedrig und haben begonnen das Anlegerver­halten bei uns zu beeinflussen. Nullzins auf Spareinlagen treibt die Sparer in risikorei­chere Anlagen. Immobilien stehen da ganz oben auf der Liste. Historisch tiefe Bau­geldkonditionen machen den Erwerb von Immobilien auf Kredit nochmals einfacher und attraktiver. Wenn gleichzeitig auch die Löhne und Gehälter steigen, wirkt das wie ein Sonderkonjunkturprogramm für den Immobiliensektor – diese Entwicklung kennen wir aus Märkten wie Spanien, Irland oder Frankreich seit dem Eurostart nur allzu gut.

Beschäftigung im Immobiliensektor wird zunehmen

Nach 15 Jahren Stagnation ist jetzt die Immobilien-Konjunkturmaschine in Deutschland eingetroffen. Noch sind die Preisanstiege bei Mieten und Kaufpreisen auf die Top-Standorte konzentriert, aber der Trend wird sich verbreitern und die Dynamik wird zunehmen. Die Neubautätigkeit wird steigen, die Beschäftigung im Immobiliensektor zunehmen. Was im ersten Schritt als logische und auch gerechtfertigte Aufholbewe­gung für den deutschen Immobiliensektor nach einer langen Durststrecke aussieht, kann aber in den nächsten Jahren zu einem gefährlichen Boom werden, der wieder die Gefahr einer Blase mit sich bringt.

Heute sehen wir die Banken in Deutschland mit konservativem Kreditvergabeverhalten. Die Krise mit den Ostimmobilien ab Mitte der 90er Jahre hat eine Generation von Hypothekenbankern geprägt. Aber immer mehr Spargeld drängt in den Sektor und auch die Banken werden mutiger werden, wenn der Markt in der Breite boomt. Dabei darf eines nicht vergessen werden: Genauso wie der Immobilienboom in Spanien, Portugal, Frankreich oder Irland im Kern durch eine verfehlte Zinspolitik der EZB entstanden ist, so hängt auch das Schicksal des deutschen Immobilienmarktes an dem Dilemma der Einheitszinspolitik der EZB, die zu Missallokation und falschen An­reizen führt. Bezogen auf die aktuelle Konjunkturentwicklung, Lohnentwicklung und Inflationsrate in Deutschland wäre das angebrachte Zinsniveau bei uns eher bei drei Prozent für den Leitzins und bei vier bis fünf Prozent für die 10-jährigen Bundesan­leihen zu sehen. 0,75 Prozent und 1,4 Prozent zeigen das Ausmaß der Fehlsteuerung zu der die EZB heute über die "Ein Zinsniveau für 17 Staaten-Politik" gezwungen wird.

Deutschland wird bezahlen

Wie geht es weiter: Interhyp erwarter für den Herbst ein Nachgeben der EZB in puncto Staatsanleihenkäufe der Krisenländer. Ohne diese Maßnahmen wird die Situa­tion für Spanien und Italien unerträglich werden. Gleichzeitig ist eine weitere Aufwei­chung der Position von Angela Merkel zu erwarten. Spanien, Italien und Frankreich haben sich zum Ziel gesetzt, ihre Vorstellungen zu Form und Zweck der Währungs­union umzusetzen. Dazu gehören Eurobonds genauso wie die Akzeptanz höherer Infla­tionsraten. Die EZB haben sie als Verbündeten zur Umsetzung dieser Vorstellungen längst gewonnen. Sie besetzen die Führungsposition und die Kernländer werden in wichtigen Entscheidungen einfach überstimmt. Es bleibt für Herrn Weidmann als Bundesbank-Präsident nur mehr die Rolle des Mahners und einsamen Rufers in der Wüste. Frau Merkel muss sich schrittweise den Vorstellungen des Triumvirats beugen, will sie nicht den großen Konflikt schaffen, der in letzter Konsequenz zum Austritt Deutschlands führen würde. Ein Austreten Griechenlands wäre ja noch möglich gewe­sen. Aber inzwischen ist allen Krisenländern klar, dass sich innerhalb des Euros viel besser auf das Geld der Geberländer zugreifen lässt.

Große internationale Anleger haben inzwischen begonnen, die Position Deutschlands als Hort der Sicherheit in Frage zu stellen. Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass Deutschland zahlen wird: entweder durch die fortschreitende Transferunion oder durch die immensen Anpassungskosten, die mit einem Ausstieg verbunden wären. Dass unter diesen Vorzeichen die Belastungen auch für Deutschland zu groß werden könnten, lässt die aktuellen Renditen für längerfristige deutsche Staatsanleihen viel zu niedrig erscheinen. Interhyp erwartet daher für das zweite Halbjahr steigende Langfristzinsen. Mit jedem EU-Gipfel bei dem Frau Merkel wieder einen Schritt Rich­tung Transferunion macht, wird sich diese Tendenz erhöhen. Für 2013 hält Interhyp auch Bundesanleihe-Zinsen von drei Prozent wieder für möglich.

Für Baufinanzierungskunden heißt das, die aktuell noch tiefen Zinsen zu nutzen und abzusichern. Auch bestehende Darlehen sollten möglichst bald verlängert und die Gunst der Stunde genutzt werden.

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