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Mehr Erdbebensicherheit durch textilen Schutz-"Verband" für Gebäude

(11.5.2011) Jahr für Jahr fordern Erdbeben Menschenleben und verursachen schwerste wirtschaftliche Schäden - zuletzt in Spanien, Japan, Chile, Neu-Seeland, Iran, Burma, Italien. Weniger bekannt: Auch Teile der Bundesrepublik sind nach Expertenmeinung von folgenschwereren Beben bedroht. Sächsische Textilforscher und Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) entwickelten vor diesem Hintergrund ein flexibles Bewehrungstextil für Mauerwerk, das Leben retten soll.

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Weil die afrikanische Kontinentalplatte langsam aber unaufhaltsam nach Norden drängt, bebt auch in Deutschland immer wieder die Erde. Als besonders bedroht gelten die Schwäbische Alb, Teile des Rheinlands und des Erzgebirges. Nach einer Studie des Geoforschungszentrums Potsdam und des KIT muss dort jederzeit und ohne Vorwarnung mit starken Erdstößen gerechnet werden, die etwa in Tübingen Dächer und Wände von 20 Prozent aller Häuser einstürzen lassen könnten. Schwere Schäden drohen nicht nur Stuttgart, Köln, Frankfurt oder Aachen; noch gravierender wären die Konsequenzen in Kleinstädten und Dörfern mit ihrer typischen Ziegelbebauung.

Mauerwerk besonders gefährdet

Ein vorbeugender Bautenschutz für Wohngebäude war bislang nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich. "Das größte Problem sind gemauerte Strukturen", weiß Dr. Lothar Stempniewski, Spezialist für Erdbebeningenieurwesen des KIT. Denn Mauerwerk ist spröde - was für erdbebengefährdete Gebiete denkbar ungeeignet ist - wird aber dennoch weltweit im Wohnbau am häufigsten verwendet. "Deshalb haben wir gemeinsam mit dem Sächsischen Textilforschungsinstitut Chemnitz (STFI) nach Wegen gesucht, solche Neu- wie Bestandsbauten besser vor Einsturz zu schützen", so der Lehrstuhlinhaber an der Fakultät für Bauingenieur-, Geo- und Umweltwissenschaften.

Heraus kam - auch dank Fördermitteln des Bundeswirtschaftsministeriums - ein weltweit einmaliger, aus Fasern mit Kern-Mantel-Struktur gewirkter, gitterartiger "Schutzverband" für Häuser. Der neue Materialverbund kombiniert zwei textile Faserarten mit unterschiedlichen Eigenschaftsprofilen und variablen Bruchverhalten. "Seine Glasfaser-Komponente verleiht ihm Festig- und Steifigkeit", erläutert STFI-Forschungschefin Dr. Heike Illing-Günther. Bei einem Beben breche diese Struktur zwar irgendwann, fange damit aber schon einen Teil der bedrohlichen Energie ab. Anschließend entfalte die zweite Komponente - weicheres, dehnfähiges Fasermaterial aus Polypropylen - ihre Wirkung und gestatte dem sich wölbenden Gebäude, elastisch zu federn. So sollt der Kollaps verhindert werden.

Ersteinsatz in Südeuropa absehbar

Materialtests und Versuche an realen Bauten wiesen nach, dass die grobmaschige textile Bewehrung die Kraftaufnahme von Mauerwerk tatsächlich nahezu verdoppeln könne. Zugleich sollen damit gewappnete Mauern fünf- bis zehnmal stärker schwingen dürfen als herkömmliche, ohne zu einem alles begrabenden Schutthaufen zusammenzufallen. Und dies nicht nur im Falle klassischer Erdbebeben, sondern auch bei Bodensetzungen etwa in alten Bergbauregionen, geothermisch bedingten Erdhebungen oder Einbrüchen nach Grundwasserabsenkung.

Der bislang nur zu Demonstrationszwecken verwendete Schutzverband wird einfach mit Mörtel auf die Außenwände aufgebracht, lässt sich deshalb auch bei älteren und selbst denkmalgeschützten Häusern nachrüsten. War ohnehin eine Neuverputzung geplant, sollten die absehbaren Kosten von rund 35 Euro je Quadratmeter noch deutlich sinken.

Nachdem die deutsche Bauindustrie anfangs wenig interessiert schien, laufen jetzt Verhandlungen mit einem international agierenden Unternehmen, das den textilen Erdbebenschutz sogar in ein neuartiges Wärmedämmsystem für Gebäudehüllen integrieren will. Erste Anwendungen in Südeuropa seien bereits geplant, hieß es auf Nachfrage aus Chemnitz.

Mehrere deutsche Textilforschungsinstitute legen, wie das STFI, einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Sicherheit von Personen, Gebäuden und Material. Das bestätigt der Chef des in Berlin ansässigen Textilforschungskuratoriums, Dr. Klaus Jansen: "Sicherheit bleibt eines der großen Forschungs-Leitthemen, deren Ergebnisse in Form neuer Produkte und Verfahren dem Mittelstand direkt zugute kommen." Als Beleg dafür stünden neue Material-Composites etwa für den Hitze-/Kälteschutz bzw. gegen flüssige Metalle, mit denen persönliche Schutzausrüstungen sicherer werden, sowie stich- und schusssichere Westen. Ein weiterer Beitrag der Textilforschung zu mehr Sicherheit und Werterhaltung seien explosionsgeschützte Gepäckcontainer für die Luftfahrt, so Jansen.

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