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Erneuter Streit um den "richtigen" Energiepass

  • Beliebigkeitslösung von Bauminister Wolfgang Tiefensee und Wirtschaftsminister Michael Glos unter Beschuß

(17.6.2006) Bauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) und Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) einigten sich unlängst auf ein fadenscheiniges Optionsmodell, welches die Wahlfreiheit zwischen der bedarfs- oder verbrauchswertbasierten Methode zur Erstellung von Energieausweisen vorsieht (siehe auch Beitrag "Tiefensee und Glos beim nächsten Trippelschritt für Energieausweise im Gebäudebestand" vom 7.4.2006) und eine Vergleichbarkeit der Energieeffizienz von Gebäuden erschwert (siehe Grafik weiter unten). In der Praxis dieser Beliebigkeitslösung wird sich vermutlich ohnehin dann der kostengünstigere "Verbrauchspaß" etablieren, der den Verbrauch von Öl, Gas oder (Heiz-)Strom der vergangenen Jahre zugrunde legt. Umweltminister Sigmar Gabriel monierte nun in einem Brief an die beiden Kollegen, der verbrauchsorientierte Ansatz sei "zur Bewertung der Gesamteffizienz eines Gebäudes völlig ungeeignet".

Der Umweltminister argumentiert, dass der Energieverbrauch nicht nur vom jeweiligen Nutzerverhalten - wie Temperaturniveau, Zahl der tatsächlich beheizten Räume, Lüftungsverhalten, Nutzung durch Single oder Familie - beeinflusst sei; es kämen auch Schätzungen und Korrekturen zum Tragen, "die im Belieben des (Haus-)Eigentümers" lägen. Zudem verfehle der "Energiepass light" das eigentliche Ziel der zugrunde liegenden EU-Richtlinie, "fundierte gebäudebezogene Modernisierungsempfehlungen" zu erhalten, die die so genannte zweite Miete und die Umweltbelastung senken könnten. Hierzu bedürfe es zwingend einer Bestandsaufnahme der baulichen und anlagentechnischen Gegebenheiten des Gebäudes.

zur Erinnerung: In der Diskussion geht es um den so genannten "Verbrauchspaß" auf Basis des gemessenen witterungsbereinigten Verbrauchs bzw. den "Bedarfspaß", der den Energiebedarf rechnerisch unter Normbedingungen ermittelt.

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Bild vergrößernVergleich der Heizenergieverbrauchs- und Bedarfskennwerte von 99 Einfamilienhäusern (siehe auch Beitrag "Energiepaß: erhebliche Abweichungen bei Verbrauchs- vs. Bedarfsmessung" vom 5.2.2006)

In Deutschland sind die gesetzlichen Grundlagen für die Einführung des Energiepaßes mit der Novellierung des Energieeinsparungsgesetzes (EnEG) gelegt. Nur fehlen noch die Ausführungsbestimmungen und Richtlinien für den Energiepaß. Sie sollten zwar bis 1. Januar 2006 vorliegen und in Kraft getreten sein. Wegen der Bundestagswahlen und der langwierigen Koalitionsverhandlungen wurde dieser Termin zunächst bis ins späte Frühjahr 2006 verschoben - inzwischen wird es aber vor 2007 mit dem Energiepaß in Deutschland wohl nichts werden.

Tiefensee und Glos haben sich mit ihrem Ansatz ganz offensichtlich an den Interessen der Immobilien- bzw. Wohnungswirtschaft orientiert. Diese favorisiert die einfache Verbrauchserhebung, für die das betreffende Gebäude noch nicht einmal vor Ort begutachtet werden muss. Die Kosten für eine solche Light-Version liegen vermutlich bei unter 100 Euro. Die Berechnung eines Bedarfspasses, wie er von Energieberatern, Verbraucherschützern und auch der Bauwirtschaft gefordert wird, könnte dagegen mehr als 300 Euro kosten.

GdW sowie Haus & Grund sind irritiert

Glücklich über das Optionsmodell zeigen sich nun der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. (GdW) sowie die Eigentümerschutz-Gemeinschaft Haus & Grund irritiert ob des Widerstandes aus dem Bundesumweltministerium. Haus & Grund appelliert an die Bundesregierung, den Vorschlag von Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee und Bundeswirtschaftsminister Michael Glos umzusetzen. Das von Tiefensee und Glos vorgeschlagene Optionsmodell stelle einen vernünftigen Ausgleich zwischen den diskutierten Varianten dar und sei bei den Eigentümern auf breite Zustimmung gestoßen, behauptet Haus & Grund-Generalsekretär Dr. Andreas Stücke. Nach vierjähriger Diskussion solle das jetzt gefundene empfindliche Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Interessen nicht zerstört werden.

GdW-Präsident Lutz Freitag verweist auf einen von den Spitzenverbänden der Immobilienwirtschaft durchgeführten Praxistest, wonach dem "bedarfswertbasierten Energieausweis - entgegen der immer wieder behaupteten Objektivität dieser Variante des Energieausweises - große Mängel in Bezug auf die Zuverlässigkeit und Vergleichbarkeit der Ergebnisse nachgewiesen" wurde. Demnach wiesen die bedarfsbasierten Energieausweise der beauftragten und bei der Deutschen Energieagentur (dena) gelisteten Aussteller eine Abweichung der Kennwerte für den Primärenergiebedarf um bis zu 60 Prozent für ein und dasselbe Gebäude aus.

Verbraucherzentrale und Mieterbund begrüßen Gabriels Vorstoß

Im Streit um den Gebäudeenergiepass hatten der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) und der Deutsche Mieterbund die von Bundeswirtschaftsminister Glos und Bundesbauminister Tiefensee favorisierte Lösung ohnehin schon scharf kritisiert. Das Glos-Tiefensee-Modell werde wirkungslos bleiben und sei ein Kniefall vor der Immobilienwirtschaft, hatten beide Organisationen erklärt. Umso mehr freut sich nun vzbv-Vorstand Prof. Dr. Edda Müller über den Widerstand des Umweltministeriums: Er sei "die einzig richtige Reaktion auf einen drohenden politischen Kompromiss, der Mieter und Hauskäufer im Regen stehen lässt, weil die Wohnungswirtschaft Klarheit fürchtet."

Dr. Franz-Georg Rips, Direktor des Deutschen Mieterbundes (DMB) befürchtet, dass wir auf dem besten Wege seien, "die Chancen des Energiepasses mutwillig zu verspielen. ... Die Chancen bestehen darin, den Wohnungsbestand in Deutschland energetisch zu verbessern, damit Arbeitsplätze zu schaffen und Klimaschutz aktiv zu betreiben."

Vor allem das Argument, Bedarfspässe seien unvertretbar teuer, ist nach Auffassung von Mieterbund und vzbv schlicht falsch. Ein Bedarfspass lasse sich nach ihrer Ansicht für einen Preis von 100 bis 150 Euro in einem vereinfachten Verfahren erstellen. Der Pass müsse nur beim Vermieten oder Verkaufen einer Wohnung - bezogen auf die Immobilie insgesamt - ausgestellt werden und habe eine Gültigkeitsdauer von zehn Jahren. Ein solcher Geldeinsatz sei angesichts der positiven Wirkung qualitativer Energieausweise für niemanden unzumutbar. Diesen Mehrkosten steht ein Vielfaches an Einsparung bei den Nutzern aufgrund der niedrigeren Heizkosten gut sanierter Wohngebäude gegenüber.

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