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Ortschaum oder Mineralwolle beim Fenstereinbau?

  • Breite Empörung unter Fensterbauern über praxisferne Norm-Änderung bei Kunststoff- und Holzfenstern
  • VFF will einseitige Festschreibung auf Mineralwolle als Dämmstoff kippen
  • Ortschaum kann weiter verwendet werden

(1.5.2005) Ortschaum kann bei der Montage von Holz- oder Kunststofffenstern weiter verwendet werden. Aber diese in der Praxis bewährte Fugendämmung muss ausdrücklich vereinbart werden. So das Ergebnis einer Expertenrunde auf dem Thementag VOB und Recht des Verbandes der Fenster- und Fassadenhersteller e.V. am 7. April in Frankfurt.

Seit Januar gilt eine neue DIN 18355 - ATV "Tischlerarbeiten", die Mineralfaserdämmstoffe für den Baukörperanschluss als Regel vorgibt. Die Empörung der Fensterbaubetriebe über diese praxisferne Regelung steigt von Woche zu Woche. "Weder die Fachleute unserer Mitgliedsunternehmen noch die ausgewiesenen Experten wissenschaftlicher Institute können die einseitige Festlegung auf Mineralwolle nachvollziehen. Die Branche schäumt - so könnte man doppeldeutig und salopp formulieren. Unsere Betriebe sind verunsichert und erwarten höhere Kosten sowie zusätzlichen Aufwand," so Dr. Thomas W. Büttner, Geschäftsführer des Verbandes der Fenster- und Fassadenhersteller e.V. in Frankfurt. "Unser Syndikus, Rechtsanwalt Professor Christian Niemöller, hat auf dem Thementag eine Expertise vorgestellt, wie Betriebe sich vertraglich absichern und ihr Risiko minimieren können. Als Verband arbeiten wir mit dem Institut für Fenstertechnik, dem AKPU (Arbeitskreis PU-Ortschaumhersteller) und anderen zusammen, um die Festlegung auf Mineralfaserdämmstoffe in der Norm zu kippen. Wir werden die offizielle Anerkennung von Ortschaum zur Anschlussfugendämmung als eine allgemein anerkannte Regel der Technik gezielt fördern. Nach Meinung sämtlicher Experten, die auf unserem Thementag referiert haben, stehen unsere Chancen in technischer Hinsicht gut. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Norm scheitert, weil sie nicht alltagstauglich ist und Betriebe an einer bewährten Technik festhalten."

Ohne vorherige Debatte oder Information der Fachöffentlichkeit änderte der Normungsausschuss im Dezember die ATV DIN 18355 Tischlerarbeiten zu diesem Punkt. In diesem Ausschuss sind die öffentlichen Auftraggeber und große Auftraggeber wie Bahn oder Post vertreten plus einige Vertreter von sogenannten Spitzenverbänden der Auftragnehmer. Trotz mehrfacher mündlicher und schriftlicher Eingaben wurden die Argumente des VFF abgelehnt. Der VFF wird jetzt kurzfristig einen Antrag auf Neuformulierung der ATV stellen.

Technisch ist die Änderung nicht nachvollziehbar

Die geänderte DIN 18355: 2005-01 lautet in Nr. 3.5.3 Abs.2: "Die auf der Rauminnenseite verbleibenden Fugen zwischen Außenbauteilen und Baukörper sind mit Mineralfaserdämmstoffen vollständig auszufüllen." Dies wird als Regelausführung bei Holz- und Kunststofffenstern festgelegt. Bei Metallfenstern ist eine solche Festlegung auf Mineralfaserdämmstoffe in der entsprechenden ATV hingegen nicht zu finden. Fachleute von Fensterbetrieben äußerten auf dem Thementag schwerwiegende Bedenken gegen die neue Regelung. Die Montage mit Mineralfasern sei wesentlich zeitaufwändiger und damit teurer als der Einsatz von Ortschaum. Mineralfaserdämmstoffe seien nur mit täglich zu wechselnder spezieller Arbeitskleidung inklusive Mundschutz zu verarbeiten.

Dipl. Ing. (FH) Wolfgang Jehl vom ift - Institut für Fenstertechnik in Rosenheim - wies auf die Argumentation des Normungsausschusses in seiner Begründung zur Ablehnung der Einsprüche hin, wonach für diese bauphysikalisch wichtige Schnittstelle nur genormte, zugelassene (zertifizierte) Produkte die erforderliche Qualitätssicherheit gewährleisten können. Ortschaum sei zwar nicht zertifiziert, habe sich in der Praxis aber bewährt. Mineralfaserdämmstoffe seien ebenfalls bewährt, aber auch dort sei bisher nur "Plattenware" zertifiziert. Sein Fazit: "Technisch ist die Änderung der DIN 18355 - ATV Tischlerarbeiten nicht nachvollziehbar und praxisfremd. Das ift wird die Branche unterstützen, um die notwendigen technischen Voraussetzungen für eine erneute Änderung der DIN 18355 zu schaffen."

Auf europäischer Ebene arbeiten die Schaumhersteller bereits an einer Zertifizierung. In Deutschland steht den Fensterbauern sogar besonders hochwertiger Schaum zur Verfügung, der Brandschutzanforderungen mindestens der Klasse B2 erfüllt, wie Produktmanager Frank Wörmann von der illbruck Bau-Technik GmbH erläuterte. Viele Fensterbauer befürchten nun, dass sie in aufreibende Debatten mit Bauherren oder der öffentlichen Hand verwickelt werden, wenn sie entgegen der Norm Schaum als Dämmmaterial vorschlagen. "Der erste Gedanke unserer Kunden wird sein, wir wollten etwas Nicht-Genormtes und Obskures einbauen. Oder wir wollten sowieso nur zusätzlich Geld machen, wenn wir auf höhere Kosten bei der Verwendung von Mineralfasern hinweisen," so ein Teilnehmer des Thementages. Auf Vertriebsebene kann die Debatte über Pro und Contra Ortschaum nicht sinnvoll geführt werden, so die überwiegende Meinung. Dazu will der Verband gezielt eine Debatte in der Fachöffentlichkeit fördern und beispielsweise entsprechende Artikel in Fachzeitschriften anregen.

Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik kein Selbstzweck

Ein solches Vorgehen wird auch von Rechtsanwalt Professor Christian Niemöller unterstützt, der die weitere Verwendung von Schaum unter rechtlichen Gesichtspunkten erläuterte. In einem Streitfall wäre es entscheidend, ob die Verwendung von Schaum den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht. Damit sind Regeln gemeint, die in der Wissenschaft als theoretisch richtig anerkannt sind und sich in der Baupraxis als zutreffend bewährt haben. Weder die DIN-Normen noch die VOB/C (ATV) legen diese Regeln eindeutig fest. Die Verwendung von Schaum als nachgewiesene bewährte Praxis am Bau wäre ein Indiz für eine solche allgemein anerkannte Regel der Technik. Besonders hilfreich wären entsprechende Fachaufsätze oder Äußerungen von Fachleuten.

Auch Professor Niemöller kann allerdings keinen Zaubersatz formulieren, um Ortschaum ohne jedes Risiko weiterhin verwenden zu können. Als Baurechtler kann er praxisnahe Hinweise geben, um das Risiko zu minimieren. Die Entscheidung, welches Risiko der einzelne Fensterbauer nach der Normänderung eingehen will, muss der einzelne Unternehmer selbst treffen. Nach §13 VOB/B ist die Leistung eines Werkunternehmers mangelfrei, wenn sie beispielsweise der vereinbarten Beschaffenheit und den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Zum Zeitpunkt der Abnahme muss das Werk, also in diesem Fall der Fenstereinbau, mangelfrei sein. Der Unternehmer kann nach einem Urteil des OLG Düsseldorf auch dann mangelhaft leisten, wenn kein Schaden und keine Gebrauchsminderung eintritt - es sei denn, er beweist, dass mit Sicherheit kein Schaden und keine Beeinträchtigung der Gebrauchsminderung eintreten kann, da die Einhaltung von technischen Normen nach einem Urteil des OLG Nürnberg kein Selbstzweck ist.

Wie wirkt sich nun die Änderung der ATV DIN 18355 auf ein bestehenden Vertragsverhältnis aus, wenn die VOB/C Bestandteil des Vertrages ist und es keine vorrangige vertragliche Regelung gibt? Zur Beantwortung dieser Frage muss unterschieden werden, wann die Änderung der ATV erfolgte.

  • Ist die ATV vor Abgabe des Angebots geändert worden, muss der Fensterbauer bei der Kalkulation des Angebots den Einsatz von Mineralfaserdämmstoffen berücksichtigen und - gelingt keine Änderungsabsprache - die Fugen mit diesen Stoffen ausfüllen. Der Auftragnehmer sollte den Auftraggeber über die Vor- und Nachteile einer Dämmung mit Mineralfaserdämmstoff informieren und schriftlich vereinbaren, dass er von der DIN 18355 abweichen will.
  • Wurde die ATV dagegen unmittelbar nach Abgabe des Angebots geändert, muss der Auftraggeber auf die Änderung hinweisen und seine Bedenken gegen die geplante Ausführung mitteilen. Der Auftragnehmer muss vor Ausführungsbeginn eine schriftliche Einigung über die gewünschte Ausführungsart und eine mögliche Preisanpassung herbeiführen.
  • Wurde die ATV während der Bauausführung geändert, muss der Auftragnehmer auf die Änderung hinweisen, seine Bedenken gegen die geplante Ausführung mitteilen und eine Einigung über die weitere Ausführungsart herbeiführen. Gegebenenfalls muss der Auftragnehmer seine bisherigen Leistungen nachbessern, wobei ein Mehrvergütungsanspruch umstritten ist.
  • Ein Problem kann selbst dann entstehen, wenn die ATV zwischen Abnahme und Ende der Mangelhaftung geändert wurde. Dann kann eine Nachhaftung in Betracht kommen, wenn die Ausführung nach der alten DIN nicht zu dem werkvertraglichen Erfolg führt und das Werk mit einem Fehler behaftet ist. Unproblematisch bleibt allein der Fall, wenn das Bauvorhaben vollständig abgewickelt ist.

Verwendung von Ortschaum vor Ausführung ausdrücklich vereinbaren

Professor Niemöller stellte klar, dass ein Fensterbauer Ortschaum als Ausnahme von der ATV-Regelausführung durchaus weiter verwenden kann. Nur muss er dies grundsätzlich vor Ausführung mit dem Auftraggeber ausdrücklich vereinbaren. Eine mögliche Formulierung könnte dann beispielsweise lauten: "Die Parteien vereinbaren abweichend von der ATV DIN 18355 die vollständige Ausfüllung der auf der Rauminnenseite verbleibenden Fugen zwischen Außenbauteilen und Baukörper mit Ortschaum anstelle der Regelausführung mit Mineralfaserdämmstoff."

"Sind Fensteranschlussfugen innenseitig luftdicht herzustellen, sind dies Besondere Leistungen (siehe Abschnitt 4.2.6. DIN 18355)." Diese Abrechnungsvorschrift kann gelten, wenn weder Vorbemerkungen noch Leistungsverzeichnis oder Verhandlungsprotokoll anderes vorschreiben. Im Zusammenhang mit den RAL-Gütebestimmungen, der DIN 4108 und der EnEV erscheint diese Festlegung wenig praxisnah. Betriebe mit RAL-Gütezeichen sollten sich allerdings nicht verunsichern lassen, da die gütegesicherte Montage von Fenstern und Türen schon einen inneren luftdichten Anschluss beinhaltet.

VFF dringt auf rasche Änderung der neuen Regelung

Wie konnte es überhaupt zu einer so praxisfernen und abstrusen Regelung kommen, fragten Teilnehmer des VFF-Thementags und vermuteten entsprechenden Druck der Mineralfaserverbände. Doch dieser Kreis war wohl selbst über diese Regelung überrascht und ist auch nur wenig an einer solchen Regelung interessiert, da sein Massengeschäft die "Plattenware" ist. Im Vordergrund soll eine Angleichung der ATV beispielsweise an die DIN 18340 Trockenbaustoffe gestanden haben, die ebenfalls Mineralfasern vorschreibt.

"Die Debatte auf unserem Thementag zeigt, dass die neue Regelung dringend geändert werden muss. Sie ist technisch nicht nachvollziehbar und verteuert das Bauen. Unter Beachtung der Informations- und Aufklärungspflichten als Auftragnehmer können Fensterbaubetriebe anderes vereinbaren und so die neue Regel umgehen. Das Risiko, gegen die anerkannten Regeln der Technik zu verstoßen, dürfte begrenzt sein. Die Regelung kann turnusmäßig erst wieder 2006 geändert werden. Bis dahin wird der Verband der Fenster- und Fassadenhersteller entsprechenden Druck aufbauen. Am 13. April fand bereits ein Gespräch zwischen VFF, ift und dem AKPU statt, um das weitere Vorgehen abzustimmen," so Dr. Thomas W. Büttner.

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