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Tapeten: immer auch ein Spiegelbild von Kultur und Politik

(10.12.2002) Im Durchschnitt wechselt man in Deutschland alle sieben Jahre seine Tapete. So ist die Wandbekleidung ein Spiegelbild der Zeiten - was vor allem beim Abriß von Wohnhäusern immer auch sehr anschaulich wird. Die Tapete, ob im Kinderzimmer oder in der guten Stube, hat unsere ästhetischen Vorstellungen geprägt - solange zumindest, bis wir mit der Monokultur der Raufasertapete konfrontiert werden.

  • Die Anfänge der Tapete liegen im alten China, wo das Papier erfunden und Reispapier schon im Jahr 200 vor Christus an die Wände geklebt wurde.
  • Über die arabische Welt gelangte die Kunst des Papiermachens nach Europa; allerdings gab es bis zur Gutenberg-Revolution keine Tapeten - allenfalls von Künstlern bemalte einzelne Papierbögen.
  • Als Vorläufer der Tapete gelten die so genannten "Domino-Papiere", die bereits im 17. Jahrhundert in Frankreich und England produziert wurden: Nach dem Vorbild des Stoffdrucks wurde mit einzelnen Holz-Modeln (-Formen) gedruckt, die im Zusammendruck einen Rapport (Musterwiederholung) ergaben.
  • Zum Schrittmacher der Papierproduktion wurde England. So war es kein Wunder, dass die "Werkstatt der Welt" auch den frühen Tapeten-Weltmarkt beherrschte. So ist auch bis heute die Länge von zwölf Yards (etwa zehn Meter) das Standardmaß für eine Tapetenbahn. Die englischen Tapeten wurden vor allem auf das europäische Festland exportiert.
  • Doch dann unterbrach der Siebenjährige Krieg (1757 bis 1763) die Handelsbeziehungen, und speziell Frankreich baute eigene Manufakturen auf, die sehr schnell die englischen Vorbilder in Technik und Design übertrafen. Einer ihrer Pioniere war Jean-Baptiste Réveillon (1775 bis 1811), der u.a. den Gebrüdern Montgolfiere bemalte Tapetenbahnen auf ihren ersten Heißluftballon klebte. Réveillon wurde zum Wegbereiter der industriellen Fertigung, weil er als Erster ganze Rollen im Stück bedruckte. In seiner "königlichen Manufaktur" beschäftigte er mehr als 300 Arbeiter.
  • Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts entfaltete sich aufgrund der inzwischen ausgereiften Technik des Leimfarbendrucks ein breites Repertoire von Tapeten. Der Rotationsdruck hatte die Tapete schließlich ins Industriezeitalter katapultiert. Ihre Dekore fielen nun durch textile Muster, Architekturmotive und Arabesken (stilisierte Rankenornamente) auf.
  • Lichtecht und leuchtend - diese Materialanforderung wurde inzwischen an die aufgedruckte Farbe gestellt. Eine Schweinfurter Firma stellte deshalb ab 1814 unter Zusatz einer Arsenverbindung ein leuchtendes "Giftgrün" her: Die als "Schweinfurter Grün" bekannt gewordene Farbe wurde gar zur Modefarbe. Es enthielt allerdings ein krank machendes Pigment, das erst ein halbes Jahrhundert später verboten wurde.
  • Biedermeier-Tapeten fielen mit intensiven Farben und gelb-orangenen Blumenbordüren auf. In der Zeit der großen Weltausstellung in Paris täuschten zudem Panoramatapeten arkadische Ausblicke in alle Himmelsrichtungen vor: Aus den Salons wurden Welten des schönen Scheins.
  • Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Tapete in fast jedem Haushalt - zumindest in der "guten Stube" - zu finden. Während nun der Art Deco sich mit Glamour von Jugendstil und Neuer Sachlichkeit abzusetzen versuchte, wurde das Bauhaus (Weimar später Dessau) richtungweisend für Effekt-, Struktur- und Raufasertapeten.
  • Erst am Ende des 20. Jahrhunderts ergab sich eine Rückbesinnung auf die "klassische" Tapete: Weg von der langweiligen Raufaser, zurück zur Raumkunst aus Papier.

Selbstverständlich gingen auch politische Entwicklungen an den Tapeten nicht unberührt vorbei: Sicherheit wird zukünftig an oberster Stelle stehen, die Transparenz der vergangenen Jahre verschwindet. Die Design könnte deshalb (wieder) ernster, dezenter und leiser werden. Das "Social Cocooning" der 30- bis 40-Jährigen, also die Tendenz, sich als Familienersatz den Freundeskreis ins traute Heim einzuladen, wird mehr und mehr die gesamte Inneneinrichtung beeinflussen.

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